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Ein Interview für „Links bewegt“, dem Online-Magazin der LINKEN: Der Bundestagsabgeordnete Victor Perli (LINKE) hat auf eigene Kosten das erste Meldeportal für Mindestlohnbetrug ins Leben gerufen. Im Gespräch mit „Links bewegt“ kritisiert er die laschen Kontrollen, die den Betrug zum Massenphänomen machen. Perli meint, die geringe Kontrolldichte sei politisch gewollt.
Das von Dir gegründete Meldeportal www.mindestlohnbetrug.de ist nun online. Ist der Betrug denn tatsächlich so weit verbreitet?
Ja, der DGB geht davon aus, dass 2,4 Millionen Beschäftigte pro Jahr um den Mindestlohn geprellt werden. Das ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern beruht auf einer Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Laut Hans-Böckler-Stiftung entstehen durch die Umgehung des Mindestlohns jährlich mehr als 7 Milliarden Euro Schaden für die Beschäftigten und die Sozialkassen.
Warum gibt es diese hohe Dunkelziffer?
Es gibt viel zu wenige Kontrollen. CDU/CSU und SPD haben bei der Einführung des Mindestlohns 2015 darauf verzichtet, deutlich mehr Kontrolleure für die zuständige Finanzkontrolle Schwarzarbeit bereitzustellen. Das hat DIE LINKE immer kritisiert. Die wenigen Kontrollen sind wegen des Personalmangels oft nur oberflächlich. Das kritisiert sogar der Bundesrechnungshof. Zudem gibt es Schwachstellen im Gesetz, etwa Ausnahmen bei den Dokumentationspflichten für die Betriebe. Es wird auch getrickst, um den Mindestlohn zu unterlaufen, etwa wenn unrealistische Leistungsvorgaben gemacht werden und die Mehrarbeit dann unbezahlt bleibt. Gleiches gilt, wenn vom Lohn Kosten für Arbeitsmaterial, eine Unterkunft oder ähnliches abgezogen werden. Dazu kommt die unangemeldete Schwarzarbeit. Unterm Strich haben wir es mit einem Massenphänomen zu tun.
Welche Branchen sind denn da besonders anfällig?
Da muss man den ganzen Niedriglohnsektor in den Blick nehmen. Am meisten aufgedeckt wird im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, in der Baubranche, im Speditions- und Logistikbereich. Das sagen die Zahlen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Auffällig wenig kontrolliert wird in der Landwirtschaft und Fleischindustrie, bei Zustellern oder in der 24-Stunden-Pflege. Die Aufklärungsquote beträgt ein bis zwei Prozent pro Jahr.
Du hast www.mindestlohnbetrug.de auf eigene Kosten ins Leben gerufen. Müsste so ein Meldeportal nicht vom zuständigen Zoll bzw. Bundesfinanzministerium betrieben werden? Ist es nicht im Interesse der Regierung, die schwarzen Schafe zu überführen?
Das Meldeportal ist Protest und Notwehr zugleich. Ich will demonstrieren, dass so etwas ziemlich einfach umsetzbar ist. Damit kann der Aufklärungsdruck erhöht werden. Der Staat darf nicht wegschauen, wenn Millionen Beschäftigten der Mindestlohn verweigert wird. In Großbritannien gibt es zum Beispiel eine staatliche Telefon-Hotline, wo man anrufen und Hinweise geben kann. Denen wird dann nachgegangen. Die Gewerkschaften hatten gefordert, dass es so etwas bei uns geben soll. Aber Union und SPD haben nicht reagiert. Manchen Politikern und Wirtschaftsvertretern sind zu wenige und zu lasche Kontrollen auch ganz Recht. Sie halten das für einen Standortvorteil. Tatsächlich geht es um einen großen Betrug an den Beschäftigten, an Steuerzahlern und Sozialkassen sowie an den Betrieben, die sich an die Regeln halten.
Ich frage seit meinem Einzug in den Bundestag die Zahlen ab. Also: Wie oft ist in welchen Branchen kontrolliert worden, wie viele Fälle wurden dabei aufgedeckt. Seit Jahren bewegen sich die Zahlen auf einem niedrigen Niveau. Es gibt inzwischen zwar etwas mehr Stellen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, davon sind aber viele unbesetzt. Zuletzt waren 1400 von fast 8500 zur Verfügung stehenden Stellen nicht besetzt – also jede sechste. Die Linksfraktion fordert die Zahl der Kontrolleure perspektivisch auf 15.000 zu verdoppeln.
Wer kann sich bei Dir melden? Und was passiert mit den Hinweisen, die Du über www.mindestlohnbetrug.de bekommst?
Jeder kann sich melden, der Hinweise auf Mindestlohnbetrug melden möchte. Das geht auch anonym. Die Informationen werden auf Plausibilität geprüft, auch in Rücksprache mit Betriebsräten und Gewerkschaften. Danach gebe ich sie an die Finanzkontrolle Schwarzarbeit vom Zoll. Die sind für die Mindestlohnkontrollen zuständig. Später werde ich nachhaken, was daraus geworden ist. In den letzten Jahren habe ich immer wieder Zuschriften bekommen, die mich darauf aufmerksam machten, dass Hinweise auf Mindestlohnbetrug von den Behörden nicht weiter verfolgt worden seien. Wenn sich ein Parlamentarier dahinterklemmt, können sich die Behörden nicht so einfach wegducken.
Das Interview führte Fabian Lambeck und ist auf „Links Bewegt“ erschienen.