Die Tücken liberal-grüner Verkehrspolitik – Bewertung des Ampel-Koalitionsvertrags

Bild: unsplash.com/Tsvetoslav Hristov

Die Tücken liberal-grüner Verkehrspolitik – Bewertung des Ampel-Koalitionsvertrags

Beim Verkehr lässt die Ampel-Koalition wenig Gutes erwarten. Nicht nur, dass der neue liberale Verkehrsminister Volker Wissing im Zweifel auf Wettbewerb setzen wird und die Nöte aller Beschäftigten im Verkehrssektor nicht ernst genug nehmen dürfte – obwohl hier vieles im Argen liegt. Wissing scheint auch nicht der richtige Mann für eine Verkehrswende.

Dabei spielt ihm in die Hände, dass in dieser Hinsicht auch der Koalitionsvertrag mangelhaft ist. Zwar ist von „Aufbruch“ und „Dekarbonisierung“ die Rede. Auch eine Überprüfung des Bundesverkehrswegeplans soll es geben, unter Beachtung „neuer“ Kriterien und unter Einbindung von Verbänden. Jedoch sind die „neuen“ Kriterien nicht näher definiert und es gibt keine explizite Kritik an schädlichen Großprojekten wie Stuttgart 21 oder der A20. Zugleich wird dieser Ansatz konterkariert durch Pläne für eine Planungsbeschleunigung (die natürlich in bestimmten Fällen richtig sein kann).

Im Koalitionsvertrag werden alle Verkehrsarten mit vielen fördernden Maßnahmen bedacht, darunter besonders auch Autos und Flugzeuge. Natürlich werden überall nachhaltige Antriebe mit Strom oder Wasserstoff (dieser nur langfristig grün) angestrebt. Insofern ist der Vertrag eine große Wette auf die Machbarkeit einer Dekarbonisierung, damit eine Reduktion des Verkehrs unterbleiben kann. Diese Wette ist nicht nur schwer zu gewinnen angesichts der Dimension der Umstellung und des immensen Bedarfs an Strom. Sie vernachlässigt auch grundsätzliche Probleme wie Flächennutzung, Produktionsressourcen oder Umweltverschmutzung.

Mit dem breiten Fördertümpel des Vertrags und mit Volker Wissing als marktradikalem Steuermann wird es höchstens kleine Verbesserungen geben, aber kaum einen wirklich nachhaltigen Verkehr und keine flächendeckenden, bezahlbaren und primär öffentlichen Verkehrsangebote für alle.

Bahn und ÖPNV

Die Ampel-Koalition will die Bahn und den öffentlichen Nahverkehr stärken – das ist gut. Bei der Bahn werden die Ziele bis 2030 sogar noch hochgeschraubt, indem bis dahin nicht mehr die Fahrgastzahl, sondern die Verkehrsleistung (also die gefahrenen Strecken) verdoppelt werden soll.

Viele angekündigte Maßnahmen sind zu begrüßen, wie Verbesserungen bei Schienennetz, Bahnhöfen, Nachtzügen, Güterverkehr (25 % bis 2030), Anbindungen, Digitalisierung (digitale automatische Kupplung schon 2040) oder Elektrifizierung (75 % bis 2030).

Es gibt aber oft keine konkreten oder nur langfristige Ziele – an denen man die Koalition nicht messen kann – und nur ein vages Bekenntnis zu mehr Geld. Bei der Schiene soll es jedenfalls mehr im Vergleich zur Straße geben. Neu ist das nicht, denn selbst Verkehrsminister Scheuer plante im Haushalt 2022 mehr Geld für Schiene als für Straße ein, und die im Koalitionsvertrag genannte Anhebung der Regionalisierungsmittel (Mittel vom Bund für die Länder für ÖPNV) ist ohnehin vorgesehen. Ob Wissing außerdem schneller bei der Umsetzung der vielen Maßnahmen sein wird als sein Vorgänger, bleibt abzuwarten.

Der Koalitionsvertrag hat außerdem zwei große Mängel bei Bahn und Nahverkehr: Zum einen sieht er keine gezielte Senkung der Preise von Bahn und Nahverkehr vor. Das wäre umso nötiger als die Nutzung der Bahn und des Nahverkehrs in den letzten Jahren viel teurer geworden sind, während die Kosten für die Nutzung von Auto und Lkw relativ dazu deutlich weniger stiegen. Zwar will die Ampel-Koalition vielleicht die Trassenpreise bei der Bahn senken. Aber erstens nur sofern es der Haushalt zulässt. Zweitens ist unklar, ob davon etwas bei den Bahnkunden ankommt. Und drittens würde eine Trassenpreissenkung im aktuellen Bahnsystem ohne begleitende Regulierung eher den Wettbewerb anheizen, vor allem im Fernverkehr.

Das führt auch zum zweiten großen Mangel: Die Ampel-Koalition hält daran fest, dass Nah- und Fernverkehr im Wettbewerb stehen. Das mag zwar kurzfristig die Preise senken, wird aber – Markt ist Markt – langfristig in Pleiten enden, so wie gerade bei Abellio oder Keolis. Anders als der Betrieb soll die Infrastruktur wieder etwas stärker öffentlich orientiert sein, indem eine „gemeinwohlorientierte“ Infrastruktursparte innerhalb der Deutsche Bahn AG geschaffen wird. Diese Sparte soll weiterhin Gewinne machen können, die aber nicht mehr abgeführt werden. Warum nicht gleich ein Gewinnverbot wie in der Schweiz (§ 67 Eisenbahngesetz) beschlossen wurde, erschließt sich nicht. Immerhin wird somit der Konzern Deutsche Bahn nicht zerschlagen – Grüne und FDP hatten dies angestrebt, scheiterten aber an der SPD und am Druck von außen durch Gewerkschaften oder die LINKE. Eine Zerschlagung hätte insgesamt negativ gewirkt, aber die jetzige Reform könnte sich positiv auswirken auf die Qualität des Netzes.

Bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten will die Ampel Tarifverträge zur „Bedingung bei Ausschreibungen“ machen. Das ist an sich gut, fällt allerdings hinter die Große Koalition zurück. Die hatte nämlich – wenn auch ohne es umzusetzen – bei einem Anbieterwechsel die Weiterbeschäftigung der bisherigen Beschäftigten „zu den bestehenden Arbeits- und Sozialbedingungen vorschreiben“ wollen.

Ein wichtiges Zukunftsfeld sind vernetze Mobilitätsangebote. Der Vertrag will eine „anbieterübergreifende digitale Buchung und Bezahlung“ erreichen, indem die Daten der Verkehrsunternehmen offengelegt werden. Allerdings birgt dieser Ansatz die Gefahr, dass große Konzerne wie Google die Nutzung dieser Daten an sich reißen werden. Damit werden Verkehrsunternehmen, auch die öffentlichen, wohl Einfluss an diese Konzerne abgeben. Besser wäre es deshalb, die Daten an eine öffentliche Plattform zu geben, zum Beispiel über bestehende Ansätze der öffentlichen Unternehmen wie Mobility Inside.

Auto

Beim Auto will die Ampel-Koalition – wohl unerreichbare – 15 Millionen E-Autos bis 2030, bis 2025 soll dafür auch die direkte Förderung über die „Innovationsprämie“ weiterlaufen. Maßnahmen wie ein schnellerer Aufbau von (Schnell-)Ladepunkten und Batterieförderung sollen E-Autos zusätzlich voranbringen. Letztlich wird wohl weiterhin viel Geld an eher gut verdienende Käufer von E-Autos fließen. Dagegen finden sich keine Maßnahmen, die speziell ärmere Menschen unterstützen würden. Die Autowende gerät so – wie die Energiewende – unsozial. Neben E-Autos sollen auch Verbrenner mit E-Fuels, also mit Strom und Wasserstoff erzeugten Kraftstoffen, zulässig bleiben. Ab 2035 sollen keine fossil betriebenen Verbrenner mehr zugelassen werden.

Eine generelle Reduktion des Autoverkehrs, autofreie Innenstädte, Tempolimits oder Temporeduzierungen innerorts finden dagegen keine Erwähnung. Möglicherweise kann etwas davon dadurch erreicht werden, dass „Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung“ Eingang in die Straßenverkehrsordnung finden sollen. Mal sehen, wann und wie der Minister das angehen wird.

Die hohen Subventionen, die das Auto begünstigen, werden kaum angetastet. Da EU-Recht eine gleiche direkte Besteuerung von Benzin und Diesel erzwingt, soll ein Ausgleich für den Wegfall des bisherigen Dieselprivilegs bei der Kfz-Steuer geprüft werden. Die Pendlerpauschale bleibt erhalten, die Dienstwagensubvention soll nur um eine E-Quote bei Hybriden ergänzt werden. Positiv ist eine  Reform der Lkw-Maut, welche auf kleinere Laster bis 3,5 Tonnen (jetzt 7,5 Tonnen) ausgeweitet sowie um eine CO2-Differenzierung und einen CO2-Zuschlag ergänzt werden soll. Zudem soll ein Teil der Einnahmen nicht mehr zwingend in die Straße gehen, sondern in „Mobilität“. Wieder hängt hier viel an Wissing.

Es soll keinen Stopp des Baus neuer Autobahnen geben, nur einen stärkeren Fokus auf den Erhalt. Zugleich werden ein steigender Gesamtetat und eine überjährige Finanzierung der Autobahn GmbH festgeschrieben. Es wird also zum einen nicht nur mehr – langfristiges – Geld für die Schiene, sondern auch für die Straße geben. Zum anderen hat es einen solchen Fokus auf den Erhalt schon in den Koalitionsverträgen der beiden Großen Koalitionen 2013 und 2018 gegeben, ohne dass viel passiert wäre.

Die Nutzung von öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) mit all ihren Problemen wird kaum eingeschränkt. Die Untersuchung der Wirtschaftlichkeit verschiedener Varianten (öffentlich oder ÖPP) soll einheitlicher werden und sie sollen mit den Verträgen öffentlich werden. Bekenntnisse zu mehr Einheitlichkeit und zur Veröffentlichung aller Dokumente gab es auch schon von der Großen Koalition, und die ÖPP-Verträge wurden vergangenes Jahr schon von Minister Scheuer veröffentlicht – um das Wichtigste geschwärzt! Es ist schwer vorstellbar, dass Wissing hier über die Praxis seines Vorgängers hinausgehen und alle Zahlen offenlegen wird.

Zu den privatisierten Autobahnraststätten sagt der Vertrag nichts. Also wird hier der Monopolist Tank & Rast weiterhin die Preise hochtreiben können, um seine Rendite zu maximieren. Problematisch ist der Verzicht auf eine Verstaatlichung von Tank & Rast auch beim Aufbau von Ladepunkten, der aktuell von Tank & Rast ausgebremst wird.

Rad

Die Ausführungen zu Radverkehr sind für eine grüne Regierungsbeteiligung erstaunlich dünn. An sich wird nur der bestehende Radverkehrsplan unterstützt und Radinfrastruktur soll „gestärkt“ sowie die Kombination von Radverkehr und ÖPNV verbessert werden. Dafür soll die Finanzierung bis 2030 abgesichert werden. Mehr Geld für Radverkehr hatte aber zuletzt schon Minister Scheuer in den Haushalt gestellt, abgerufen wurde es aber nur zum Teil. Es bleibt also spannend, ob die Ampel-Koalition hier noch drauflegen wird. Für Fußverkehr soll es einen nationalen Plan geben. Das klingt sinnvoll – Maßnahmen des Verkehrsministeriums dazu gibt es aber.

Schiff

Den Schiffsverkehr und seine Infrastruktur wie Häfen oder Schleusen will die Ampel stärken und umweltfreundlicher gestalten. Wirklich neue Ideen findet man dazu aber nicht, auch wenn eine nationale Hafenstrategie kommen soll. Förderungen – wie von der Ampel angestrebt – für nachhaltige Antrieben oder Landstrom gibt es schon, die dann wohl fortgesetzt werden. Gut ist, dass mehr Schiffe unter deutscher Flagge fahren sollen. Besser wäre es aber gewesen, dann auch die Steuervorteile der Schifffahrtsunternehmen durch die Tonnagesteuer abzuschaffen. Auch finden sich keine Quoten für den Einsatz deutscher Seeleute, wie es von den Gewerkschaften gefordert wird.

Flugzeug

Auch beim Flugzeug soll es für die Ampel-Koalition der nachhaltige Antrieb richten. Deutschland soll so auch als Produktionsstandort für die Luftfahrt erhalten bleiben. Entsprechend gibt es keine grundsätzliche Kritik an immer mehr Luftverkehr, keine Aussagen zu Flugverboten (zum Beispiel nachts oder für Kurzstrecken) und nichts Kritisches zu Regionalflughäfen oder Flughafenausbau. Es finden sich nur die Hoffnung, dass durch eine bessere Bahn Kurzstreckenflüge überflüssig werden könnten, und der Plan für ein Flughafenkonzept 2030+. Wer darauf hofft, hofft auf Wissing!

Immerhin finden sich einige gute Maßnahmen wie gegen Fluglärm oder Dumpingpreise für Tickets (nicht unterhalb der Steuern, Zuschläge, Entgelte und Gebühren). Bei der Kerosinsteuer wird aber an die EU verwiesen. Während sich hier nicht einmal konkrete Zeiträume finden, wird die Prüfung einer Erhöhung der Flugverkehrsabgabe explizit auf 2023 verschoben.